Lesung mit Jennifer Teege: „AMON. Mein Großvater hätte mich erschossen“

Am 23.3.2014 gingen Herr Dittberner, Herr Baake, Esma Bilen aus der S2, Tim Mewes und Frederic Wojahn aus der 9b zu einer Lesung von Jennifer Teege in den Jüdischen Salon im Grindel-Viertel. Der kleine, sehr intim gestaltete und mit einigen typischen Gegenständen des jüdischen Lebens geschmückte Raum war bis auf den letzten Sitzplatz besetzt, trotzdem war es ganz still, als Frau Teege, eine zierliche Frau mit deutlichen Spuren ihres afrikanischen Vaters, aus ihrem Buch vorlas.

Sie berichtete, wie sie, bis zu diesem Zeitpunkt in verschiedenen sozialen und antirassistischen Initiativen, auch in Israel aktiv, durch einen Zufall erfuhr, dass sie die Enkelin des berüchtigten KZ-Kommandanten Amon Göth, der z.B. als historische Figur im Film „Schindlers Liste“ zu sehen ist. Sehr eindrücklich schilderte Jennifer Teege den weiten Weg vom anfänglichen lähmenden Schock, als ihr ganzes bisheriges Leben in Frage gestellt schien und sie nicht mehr wusste, wie sie sich ihren kleinen Kindern gegenüber präsentieren sollte, über die tastende Neuorientierung, z.B. an Wirkungsorten des Großvaters in Ghettos und Konzentrationslagern und über wiederholte Versuche, mehr über und auch von ihrer Mutter zu hören – die Großmutter konnte sie nur über eine Fernsehdokumentation näher kennenlernen, da sie bereits tot war. Schließlich hatte sie sich, nicht zuletzt durch das Buchprojekt, so gefestigt, dass sie darüber berichten und mit anderen aus der Generation der Nachkommen der Täter von damals ins Gespräch kommen konnte.

Am Schluss beantwortete sie Fragen von Zuhörern und gab Signaturen in ihr Buch. Es gab einiges an Zustimmung, aber auch Kritik, über die dann von Autorin und Zuschauern disku­tiert wurde. Insbesondere stand die Frage im Raum, ob Frau Teege beim Versuch den Groß­vater zu verstehen, ihn auch rechtfertigen würde. Sie bestritt dies energisch, beschrieb ihn als emotional und sozial gestörten Sadisten, den man aber eben doch als Teil der eigenen Familie akzeptieren müsse und nicht verschweigen, verleugnen dürfe. Da viele deutsche Nachfahren von NS-Tätern sind, etwa 900.000 Menschen der damals etwa 90 Millionen Deutschen waren in der SS, der wichtigsten Organisation zum Verüben der Nazigreul, ist dies eine wichtige Streitfrage. Außerdem war es aber sehr interessant, über die Gescheh­nisse von damals und das Umgehen damit auch von verschiedenen Opfern zu hören, die Frau Teege getroffen hatte und die sich allgemein sehr positiv darüber äußerten, eine Nachfahrin der sadistischen Menschenverächter von damals getroffen zu haben, die durch und durch warmherzig und menschlich ist. Auch unsere kleine Gruppe kam im Anschluss ins Gespräch über das, was man bisher über die Verbrechen der Nationalsozialisten und die Position der eigenen Familie dabei (oder bzgl. anderer schlimmer Geschehnisse der vergangenen Jahrzehnte) wusste. Die Lesung und die dabei aufgeworfenen Fragen hatten alle berührt und zum Nachdenken über Schuld, Sühne, Gewissen und Widerstand gebracht. Es war ein wirklich gelungener Abend.

Frederic Wojahn und Tim Jacob Mewes